Vergaberecht - öffentliches Auftragswesen
derPlan 10/2015, Seite 12 – ArchIng
Vergaberecht
Öffentliche Auftragsvergabe
Rechtsanwalt
Auftrag
Ausschreibung
Wien
Vergaberecht - öffentliches Auftragswesen
Das öffentliche Auftragswesen hat in Österreich wie auch in der gesamten Europäischen Union eine außerordentliche wirtschaftliche Bedeutung: 2015 betrug das Beschaffungsvolumen in Österreich rund 61,7 Mrd. Euro bzw 17,9 % des BIP. Bis in die 1990er Jahre war die Vergabe öffentlicher Aufträge in Österreich rudimentär reglementiert. Die öffentlichen Stellen waren zwar grundsätzlich bei der Vergabe zur Objektivität verpflichtet; Unter-nehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewarben, hatten jedoch kaum rechtliche Möglichkeiten, sich effektiv gegen die willkürliche Vergabe öffentlicher Aufträge zu wehren. Durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft änderte sich dies. Aufgrund der EG-Vergaberichtlinien war und ist Österreich verpflichtet, verbindliche Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu normieren und Bietern effektive Rechtschutzinstrumente in die Hand zu geben.
Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass ua derzeit in Österreich mit dem Bundesvergabegesetz 2018 (BGBl I 65/2018 idF BGBl l I 100/2018 – in der Folge „BVergG“) ein 382 (!) Paragraphen umfassendes Gesetz samt 20 Anhängen gilt, das detaillierte Verfahrensvorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge vorsieht. Im Vordergrund stehen dabei
- die Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten (insbesondere freier Waren- und Dienstleistungsverkehr),
- das Diskriminierungsverbot,
- der Grundsatz des freien und lauteren Wettbewerbes,
- die Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter sowie
- die Verpflichtung zur Vergabe an befugte, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zu angemessenen Preisen.
Das BVergG wurde in den Jahren 2007, 2010, 2012 und 2013 umfassend novelliert und mit dem BVergG 2018 nun eine Totalrevision vorgenommen. Weiters ist seit dem Jahr 2012 für Beschaffungen im Sicherheitsbereich das Bundesvergabegesetz Verteidigung und Sicherheit 2012 (BGBl I 10/2012 idF BGBl II 65/2018 – in der Folge „BVergGVS“) und im Bereich der Konzessionsvergabe das Bundesvergabegesetz Konzession 2018 (BGBl I 65/2018 idF BGBl I 100/2018) anzuwenden. Weiters werden einzelne gesetzliche Bestimmungen häufig mittels Verordnungen des Bundes bzw der Länder abgeändert (Schwellenwerte bzw Pauschalgebühren).
Bundesvergabegesetz
Das BVergG ist ein komplexes und oft novelliertes Gesetz, das wie folgt aufgebaut ist:
- Teil Regelungsgegenstand und Begriffsbestimmungen
- Teil Vergabeverfahren für öffentliche Auftraggeber (Bund, Länder, Gemeinden und ausgegliederte Rechtsträger)
- Teil Vergabeverfahren für Sektorenauftraggeber (öffentliche und private Unternehmen, die in den Bereichen Gas, Wärme, Elektrizität, Wasser, Verkehrsleistungen, Postdienste, Förderung fossiler Rohstoffe sowie der Betrieb von Häfen und Flughäfen)
- Teil Rechtsschutz für Vergabeverfahren von öffentlichen Auftraggebern im Bundesbereich (Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht)
- Teil Außerstaatliche Kontrolle und zivilrechtliche Bestimmungen
- Teil Straf-, Schluss- und Übergangs-bestimmungen
Die letzte wesentliche Änderung zum BVergG ist am 1.3.2019 mit folgenden wesentlichen Neuerungen in Kraft getreten:
- Einführung neuer Vergabeverfahren (zB (Innovationspartnerschaft)
- Grenzüberschreitende Auftragsvergaben
- Berücksichtigung ökologischer, sozialer und innovativer Aspekte sowie
- Im Oberschwellenbereich die Pflicht zur elektronischen Abwicklung und
- die Stärkung des Bestbieterprinzips.
Da es sich beim Vergaberecht um eine wichtige europarechtliche Materie handelt, spielen vor bzw neben den österreichischen Normen auch die geltenden EU-Vergaberichtlinien (vormals: RL 2004/17/EG, RL 2004/18/EG und RL 2009/81/EG) sowie die Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG idF RL 2007/66/EG) und die Rechtsprechung des EuGH zu vergaberechtlichen Fragen eine wesentliche Rolle.
Die aktuellen EU-Vergaberichtlinien 2014 (RL 2014/24/EU und RL 2014/25/EU) bzw die Konzessionsrichtlinie (RL 2014/23/EU) wurden am 28.3.2014 im EU-Amtsblatt kundgemacht. Diese Richtlinien sind grundsätzlich binnen 24 Monaten in innerstaatliches Recht umzusetzen. Auf Grund dieser EU-Vergaberichtlinien erfolgte die Totalrevision mit dem BVergG 2018:
Neben den speziellen gesetzlichen Vergaberechtsquellen, sind allenfalls auch Selbstbindungsbestimmungen der Auftraggeber zu beachten (zB Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung).
Bedeutung und Komplexität der vergaberechtlichen Bestimmungen machen die Inanspruchnahme vergaberechtlicher Beratung sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Bieter und Bewerber sinnvoll. Je früher bei einem sich anbahnenden vergaberechtlichen Problem oder sich abzeichnender Differenzen auf das Know-how eines Vergabejuristen zurückgegriffen wird, desto effizienter und erfolgreicher kann dieser helfen.
Der Rechtsschutz für Vergabeverfahren von öffentlichen Auftraggebern im Bereich der Länder ist in gesonderten Vergabenachprüfungs-gesetzen der Länder geregelt, die – mit geringfügigen Abweichungen – inhaltlich dem 4. Teil des BVergG bzw dem 3. Teil des BVergGVS entsprechen.
Schwellenwerte
Seit 1.1.2020 gelten laut der (unmittelbar anwendbaren) Verordnungen VO (EU) 2019/1827, VO (EU) 2019/1828, VO (EU) 2019/1829, VO (EU) 2019/1830 folgende neue EU-Schwellenwerte (umgesetzt mit BGBl II 358/2019):
Klassischer Bereich:
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge zentraler Beschaffungsstellen gem Anhang III: > EUR 144.000
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge sonstiger öffentlicher Auftraggeber: < EUR 221.000
- Direktvergabe mit BM für Liefer- und Dienst-leistungsaufträge: < EUR 130.000
- Verhandlungsverfahren mit 1 Bieter, geistige DL, wenn Wettbewerb wg Beschaffungskosten unvertretbar:< EUR 110.500
- Bauaufträge und Baukonzessionen: EUR 5.350.000
- Direktvergabe mit BM für Bauaufträge: EUR 500.000
Sektorenbereich:
- Liefer- und Dienstleistungsaufträge: < EUR 428.000
- Direktvergabe mit BM für Liefer- und Dienst-leistungsaufträge: < EUR 200.000
- Bauaufträge: > EUR 5.350.000
- Direktvergabe mit BM für Bauaufträge < EUR 500.000
Zu beachten ist im Unterschwellenbereich auch die Schwellenwerte Verordnung 2018 (BGBl II 211/2018), mit der zB die Schwelle für die Direktvergabe mit kleiner EUR 100.000,00 bis zum 31.12.2020 festgelegt. Sowie die Schwellenwerte für besondere Dienstleistungen gem Anhang XVI.
Rechtsschutz im Vergaberecht
Das BVergG und die 9 Landesvergabekontrollgesetze sehen effektive Rechtschutzmöglichkeiten vor, mit denen Bewerber bzw Bieter ihr Recht auf ein faires und transparentes Vergabeverfahrens auch durchsetzen können. Das wichtigste Instrument ist dabei der Nachprüfungsantrag, mit dem Entscheidungen des Auftraggebers überprüft und deren Nichtigerklärung erwirkt werden kann. In einigen Bundesländern ist ein (gem Rsp des EuGH nicht obligatorisches) Schlichtungsverfahren „vorgeschaltet“ zB Niederösterreich. Zu beachten sind weitere Gesetzesquellen wie zB das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (BGBl I 33/2013).
Wird das Vergabeverfahren von einem öffentlichen Auftraggeber durchgeführt, der dem Bund zuzuordnen ist (zB Bundesministerium für Finanzen, ASFINAG oder Arbeitsmarktservice), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht (vormals das Bundesvergabeamt) über derartige Nachprüfungsanträge. Auch im Falle der Anwendbarkeit des BVergGVS ist die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben.
Wird das Vergabeverfahren von einem öffentlichen Auftraggeber durchgeführt, der einem Bundesland zuzuordnen ist (zB dem Magistrat der Stadt Wien), ist für Nachprüfungsanträge das Landesverwaltungsgericht des jeweiligen Bundeslandes zuständig.
Kurze Anfechtungsfristen
Von zentraler Bedeutung für ein erfolgreiches Nachprüfungsverfahren ist die Beachtung der äußerst kurzen Anfechtungsfristen, innerhalb der Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber auf nationaler Ebene (zB in NÖ auch unter Einrechnung der Dauer eines Schlichtungsverfahrens) bekämpft werden müssen. Welche Anfechtungsfrist im konkreten Fall zur Anwendung kommt, hängt vom Anfechtungsgegenstand sowie der jeweiligen Verfahrensart und vom Auftragswert ab und ist aufgrund der recht komplexen gesetzlichen Regelung und der Rechtsprechung oft nicht einfach zu ermitteln; zumeist beträgt sie 7 oder 10 Tage. Wird die Anfechtungsfrist versäumt, kann eine rechtswidrige Entscheidung in der Regel auf nationaler Ebene nicht mehr bekämpft werden.
Vergaberecht und COVID-19
Im Zusammenhang mit dem faktischen und rechtlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie sind im Zusammenhang mit dem Vergaberecht eine Vielzahl von Fragen zu prüfen. Dies ist zB abhängig vom Stadium der Beschaffung, etwa vor Einleitung oder bei Durchführung eines Vergabeverfahrens (Fristen, insbesondere auch Verfahrensart und Ausnahmen zB Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung (vgl kumulative Kriterien gem § 35 Abs 1 Z 4. § 36 Abs 1 Z 4 bzw § 37 Abs 1 Z 4 BVergG, insbes „nicht vorhersehen“); Widerruf, Zuschlagsfrist, bzw nach Auftragsvergabe etwa die Zulässigkeit der Anpassung von Leistungen bzw Entgelt und die Schranken der Vertragsanpassung (zB § 365 BVergG und die Rsp EuGH pressetext ua). Weitere Fragstellungen, zB Zivilrecht, sind ebenso zu prüfen.
Disclaimer
(sämtliche Angaben ohne Gewähr und sind kein Ersatz für eine Rechtsberatung. Der Verfasser übernimmt ausdrücklich keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit.
Informationen zu: Vergaberecht, öffentliche Auftragsvergabe, Rechtsanwalt, Auftrag, Ausschreibung, Wien, Österreich, Vergabe, Vergabe von öffentlichen Aufträgen, Beschaffung, Beschaffungswesen
Matthias Trauner
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